Seit Jahrzehnten gilt mein besonderes Interesse dem Schmuck. Er zählt wie die Textilien, zu den ältesten Kulturobjekten und diente nicht nur dem eigenen Schmücken, sondern wurde insbesondere im Bereich des Kults eingesetzt. Hier wurden bereits in den Anfängen der Menschheit handwerkliche und künstlerische Meisterstücke hervorgebracht.
Wie aber kommt es zu einem so großen Interesse am Schmuck, insbesondere am handgefertigten Schmuck? Sicherlich gab es in meiner Familie bereits ein Faible dafür. In unserem Ort gab es einen Goldschmiedemeister, der wirklich sehr ausgefallene Objekte fertigte. Sein Schaufenster war immer ein Wunderland für mich. Ab und zu wurde dort auch ein Schmuckstück für meine Mutter angefertigt z.B. zum 50. Geburtstag . Es war spannend zu verfolgen, wie aus einer Skizze ein wunderschöner Ring samt Ohringen wurde. Eine Tante, in deren Familie ich öfter die Ferien verbrachte, wurde von ihrem Mann regelmäßig mit besonderem Schmuck eines Goldschmiedemeisters bedacht: wundervolle Entwürfe, ausgefallene Steine, herausragende Gestaltung. Es war jedes Mal ein Erlebnis, wenn sie die Schatulle öffnete und wir uns ihren Schatz anschauten.
Es wäre fĂĽr mich beruflich sicherlich eine Option gewesen, Goldschmiedin zu werden. Sie wissen, ich bin den Weg nicht gegangen, aber ich habe viele Kataloge, BĂĽcher, Abbildungen zum modernen Schmuck gesammelt und bin immer wieder fasziniert, wenn ich mir die Oberflächen, die Farben, die Ideen anschaue, die in den Objekten stecken. Der sogenannte Autorenschmuck hat es mir dabei besonders angetan. Es tun sich Welten auf, wenn man sich in dieses Thema vertieft. Ja, ich weiĂź auch, ich habe noch viele Ideen in dieser Richtung, die ich noch umsetzen möchte. Kommt Zeit, kommt Schmuck?…
Ich freue mich, an dieser Stelle einen besonderen SchmuckkĂĽnstler vorstellen zu dĂĽrfen, Thomas Labhart aus der Schweiz. Er stellt sich im folgenden Beitrag selbst vor. Viel VergnĂĽgen beim Lesen.
„Ein Naturwissenschaftler als Schmuckgestalter“
von Thomas Labhart
Von Haus aus bin ich Naturwissenschaftler (Zoologe) und habe bis 2010 als Forscher und Lehrer an der Universität Zürich gearbeitet. Ich betrieb Grundlagenforschung und untersuchte das Nervensystem von Insekten, im speziellen die Funktion ihrer Facettenaugen und des Gehirns. Trotz der Winzigkeit und dem fremdartigen Bau der Facettenaugen ist die Sehleistung von Insekten beeindruckend: Wie unsere eigenen Augen dienen die Insektenaugen zur Wahrnehmung von Farben, Formen und Bewegungen. Mit ihren Facettenaugen sehen die Insekten die Umwelt ziemlich grob gerastert (entsprechend einem digitalen Bild mit kleiner dpi-Zahl). Dafür können Insekten sehr schnelle Bewegungen wahrnehmen, ja bestimmten Arten erschiene ein Kinofilm als lauter hintereinander folgende Einzelbilder. Insekten können auch Ultraviolett und polarisiertes Licht wahrnehmen, also Lichtreize, für die wir Menschen blind sind.
Links: Elektronenmikroskopisches Photo von Kopf und Facettenauge der Taufliege Drosophila (Augenlänge 0.4 mm). Rechts: Gehirn einer Honigbiene (weissliche Struktur; ca. 3 mm breit).
Wie kommt ein Zoologe an der Uni dazu, sich auch noch als Schmuck-Gestalter zu betätigen? Die wissenschaftliche Arbeit, also Beobachten, Experimentieren, Daten auswerten und Artikel schreiben, ist zwar eine ausgesprochen kreative Beschäftigung. Die FrĂĽchte der Arbeit – sofern erfolgreich — bestehen aus neuem Wissen, also abstrakter Information. Trotz meiner Eigenschaft als Naturwissenschaftler bin ich ein eher anschaulich als abstrakt denkender Mensch. Am Ende des Arbeitstages vermisste ich oft ein Arbeitsergebnis zum Anschauen und Anfassen, statt trockener Zahlen, einer Graphik oder einem wissenschaftlichen Text. Und zudem liebe ich es, mich manuell zu betätigen.
Kleiner Ausschnitt eines typischen wissenschaftlichen Artikels zum Sehvermögen von Insekten.
Aus diesem Grund suchte ich mir Mitte der 80er Jahre eine Ergänzung zur universitären Kopfarbeit, und meldete mich zu einem Freizeitkurs für Schmuckgestaltung an der Migros Clubschule in Zürich an. Ich war von der handfesten und doch subtilen Bearbeitung von Edelmetall mit Feuer, Hammer, Säge, Feile und Polierscheibe sofort fasziniert. Eine gewisse manuelle Geschicklichkeit ist mir zum Glück gegeben, und die nötige Feinmotorik für Detailarbeiten hatte ich mir bei meinen wissenschaftlichen Experimenten erarbeitet, zu denen auch die Sektion von Insektengehirnen gehörte. Meine schmuck-handwerklichen Fähigkeiten verdanke ich einerseits meinen Mentoren an der Migros Clubschule in Zürich und Luzern, und andererseits auch intensivem autodidaktischem Studium theoretischer Grundlagen. Ich besitze keine formelle gestalterische Ausbildung.
Künstler werden immer wieder gefragt, wie sie die Ideen und Motive für ihre Schöpfungen finden. Unterscheidet sich dieser Prozess bei mir mit dem primär naturwissenschaftlichen Rucksack von dem gelernter, professioneller Gestalter? Der geneigte Leser möge selber entscheiden! Der «Motivfindungsprozess» ist bei mir oft eine Mischung von müssiger Beobachtung, freiem Spiel und konstruktiver Regel. So halte ich auch in alltäglichen Situationen, wie etwa beim Spazierengehen oder Einkaufen, stets die Augen weit offen für auffällige, überraschende oder eigenartige Erscheinungen oder Objekte natürlicher oder technischer Art. Oder ich beginne müssig und ohne bestimmtes Ziel mit irgendwelchen kleinen Gegenständen zu spielen, mit kleinen Spiegeln, Wachsstücken, Papierquadraten, Schokoladepapier, WC-Papier-Rollen und Ähnlichen. Nicht selten entsteht dabei – scheinbar zufällig – ein interessantes kleines Objekt, das den Ursprung eines Schmuckmotivs bilden könnte. Solche er-blickten oder er-spielten Grund-Motive unterwerfe ich gerne einer «Evolution», indem ich sie einer Regel folgend weiterentwickle.
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Die Kleinserie Quadrate
Ohrschmuck «Quadrat» in vier verschiedenen Varianten (Silber 925). Tochter Susan agiert als Modell.
Als Beispiel dafür mag die kleine Serie meines Ohrschmucks «Quadrate» dienen. Sie entstand, weil ich eines Tages spielerisch die Falteigenschaften von kleinen quadratischen Notizzetteln ausprobierte. Schliesslich versuchte ich, allein durch Faltung (d.h. ohne Zerschneiden und Zusammenfügen) aus den ursprünglich planen Papierquadraten verschiedene Relief-Strukturen zu erzeugen. Vier solche Reliefs habe ich in dünnem, leichtem Silberblech als Ohrschmuck realisiert.
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Das Projekt Wellenspiel
Links: Kreiswellen bei Regen auf einer Wasserlache (Video still). Rechts: Computer-Simulation von Kreiswellen. Siehe auch Video unter https://vimeo.com/397027337
Ein typisches Beispiel meiner Arbeitsweise gibt auch das kürzlich und endlich geglückte Projekt «Wellenspiel»: Es regnet, und auf den Wasserlachen entstehen in rascher Folge kleine, sich überschneidende Kreiswellen, die zusammen faszinierende Muster bilden. Ich setzte mir in den Kopf, ein solches Wellenmuster in Silber zu reproduzieren. Das Medium Wasser ist flüssig, das Wellenmuster flüchtig: Das macht ein einfaches Abformen mit Hilfe von Gips und dergleichen unmöglich. Kreiswellen und deren Zusammenspiel folgen zum Glück einfachen physikalischen Gesetzen und sind daher computer-simulierbar. Ein Simulationsprogramm aus dem Internet erlaubte mir die virtuelle 3D-Darstellung von zwei sich überschneidenden Kreiswellen auf dem Bildschirm.
Motiv «Wellenspiel»: Silberreproduktion (Sandguss) von zwei sich überschneidenden, simulierten Kreiswellen (Silber 925). Links u. Mitte: Gussrohling; rechts: Geschliffen und poliert.
Das Simulationsprogramm lieferte auch die digitalen Daten (Koordinaten), die der Bildschirm-Darstellung zugrunde liegen. Diese Daten liess ich von einer Spezialfirma in Kunststoff 3D-drucken; eine reale 3D-Nachbildung von zwei Kreiswellen war endlich gelungen! Den 3D-Druck konnte ich schliesslich mit Hilfe einer mir nun wieder vertrauten Standard-Technik, dem sog. Sandguss-Verfahren, problemlos in Silber abformen.
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Die bunte Antenne
Fingerring «Antenne» mit optischem Farbeffekt bei seitlicher und frontaler Ansicht (Silber 925, Plexiglas). Siehe auch Video unter https://vimeo.com/395774663 .
Leitmotive meiner letzten etwa 10 Jahre sind die «optischen» Schmuckstücke. Sie sind hauptsächlich aus dem Spiel mit kleinen Spiegeln und farbigen Plexiglas-Elementen entstanden; die wenigsten entstammen technischer Planung. Als Beispiel für die «Optischen» möge das Modell «Antenne» dienen, welches sich bei minimalistisch einfacher Form durch einen überraschenden, starken optischen Effekt auszeichnet: Der kleine silberne Hohlspiegel mit dem farbigen, z.B. roten, Plexiglasstäbchen im Zentrum gleicht einer Parabolantenne. Schaut man in den Spiegel hinein, erfüllt überraschend ein starkes Rot die gesamte Spiegelfläche, welches sich zu einem sanduhr-förmigen Muster wandelt, und schliesslich verschwindet, wenn man den Ring bewegt.
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Spass mit UFOS
Fingerring «Ufos» bei seitlicher und frontaler Ansicht (Silber 925, Plexiglas, superelastisches Nitinol-Filament). Siehe auch Video unter https://vimeo.com/395776717 .
Zur Auflockerung muss manchmal auch etwas Schabernack sein, hier illustriert an Hand des Fingerrings «Ufos»: über einem silbernen Hohlspiegel schwebt ein kleines gelbes Ufo. Schon die kleinste Handbewegung bringt das kleine Raumschiff dazu, an seinem feinen, hyperelastischen Draht hin und her zu pendeln oder zu kreisen. Das Ufo wird vom Hohlspiegel in gleicher Grösse gespiegelt, so dass statt dem einem Raumschiff deren zwei sichtbar werden, welche einander zu jagen scheinen.
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Fazit
Sowohl beim Erarbeiten von Motiven als auch bei der Realisierung von Schmuckstücken kommt mir mein naturwissenschaftliches Rüstzeug, v.a. die Kenntnisse von physikalischen und chemischen Prozessen, sehr gelegen. Insbesondere das Verständnis von optischen Phänomenen, welche zu meinem engeren Forschungsthema an der Uni gehörten, ist äusserst hilfreich. Auch das aufmerksame Beobachten und eine spielerische Komponente gehören zur Ausrüstung eines Naturwissenschaftlers, welche ich wie oben beschrieben als Gestalter fleissig anwende.
Die meisten meiner Kreationen haben eine Hintergrundgeschichte. Oder sie folgen in konstruktiver Manier vorgegebenen Regeln physikalischer oder geometrischer Art. Die «freie Form» ist eher die Ausnahme. Könnte dies möglicherweise eine Auswirkung meines beruflichen Hintergrunds sein? Naturwissenschaftliches Arbeiten fusst auf Fakten, Behauptungen ohne stichfeste Belege sind wertlos. Hat mich die Wissenschaft verbildet und verbietet mir, ohne «Berechtigung» Formen einfach zu erfinden? Vielleicht überfordern mich auch einfach die unendlichen Möglichkeiten freier Formen, so dass ich mich mit einer regel-beschränkten Auswahl von Gestaltungsoptionen sicherer fühle.
Viele meiner weiteren Schmuck-Kreationen sind auf meiner Webseite unter labhart-schmuck.ch dokumentiert. Einige Stücke sind auch in der Schmuckgalerie «Friends of Carlotta» ( foc.ch ) in Zürich ausgestellt.
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Thomas Labhart
Schmuck und Objekte
Brunnmattstr. 16
CH 6048 Horw
thomaslabhart@bluewin.ch
labhart-schmuck.ch
Bildnachweis:
Fliegenauge: Franziska Baumann; Bienengehirn: Eric Meyer; alle anderen Bilder: Thomas Labhart