Bei mir sind in den vergangenen Wochen drei interessante Bücher angekommen. Bei einer dieser Veröffentlichungen handelt es sich um eine Monografie über die norwegische Künstlerin Bente Saetrang, herausgegeben von arnoldsche art Publishers.Â

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Das Cover des Buches macht neugierig. Sieht man hier eine Collage oder eine Leinwand? Wie groß ist diese Arbeit? Wie ist die Farbigkeit entstanden? Welche Ideen oder Überlegungen stehen hinter einem solchen Werk? Welche Werke lassen sich noch entdecken? Ich hatte bisher nie etwas von ihr gehört, gelesen oder gesehen. Sie gilt als eine der Pionierinnen norwegischer Textilkunst. Jahrgang 1946, war sie die erste Professorin für Textilkunst in Norwegen, von 1987 – 1993.
Ich lasse das Buch einmal durch meine Finger laufen. Erste Eindrücke entstehen. Textil? Was ist da gerade textil gewesen? Ich habe in kurzen Augenblicken Farbstudien und Schwarz-Weiß-Zeichnungen wahrgenommen. Ausserdem entdecke ich Fotografien aus ihrem Atelier, blicke in ihre Arbeitsprozesse und Studien. Mir sind die Werke erst einmal ein wenig fremd, sehen eher nach Malerei als nach textilen Ausdruckswelten aus. Mir wird schnell klar: hier muß ich mich in Ruhe mit beschäftigen, genauer schauen, entdecken, verstehen, und natürlich auch lesen. Ich gebe zu, das kommt bei mir immer erst an letzter Stelle, denn ich möchte Kunstobjekte nicht über den Text wahrnehmen. Ich möchte meinen eigenen Zugang finden.
Einige Tage später lasse ich mich weiter in die Welt dieser Künstlerin entführen. Ich wähle aus den abgebildeten Arbeiten meine Lieblingswerke, stelle mir vor wie sie in ihrer Werkstatt entstanden sind. Seit 40 Jahren arbeitet sie in einem Atelier in der Nähe von Oslo . Die Fotografien auf den ersten Seiten vermitteln den Eindruck von großem Einsatz und körperlichen Anstrengungen. Jeden Tag ist sie hier, fertigt Skizzen und Notizen, arbeitet an Riesenleinwänden und großen Siebdrucken auf dem Atelierboden, mischt Farben.
Begonnen hat sie ihr Studium im Bereich Rechtswissenschaften, anschließend wechselte sie zur Mathematik. 1969 hat sie dann an der Osloer National Academy of Arts Textilkunst studiert. Textilkunst war in den fünfziger Jahren groß in Mode in Norwegen und keineswegs eine brotlose Kunst. Schon ihre Mutter hatte sich damit beschäftigt, war ausgebildete Weberin. Eine weitere Weberin hat sie außerdem sehr stark beeinflußt, nämlich Hannah Ryggen, über die ein Bericht sicherlich ebenso interessant wäre. Auszüge aus dem Werk dieser Künstlerin war im vergangenen Jahr in der Schirn in Frankfurt zu sehen, 25 große Tapisserien. Einen Bericht darüber finden Sie hier…
1974 wird es Bente Saetrang durch eine Vermittlung möglich, in Polen bei Magdalena Abakanovicz weiter zu studieren, eine der führenden und bis heute wichtigsten Textilkunsterneuerinnen. Dieser Aufenthalt wird sie sehr prägen. Es ist eine andere Welt, in die sie jetzt eintritt. Durch die Studentenbewegungen hat sich vieles in Westeuropa und auf anderen Kontinenten verändert. Die Studenten sind politisiert, lassen sich nicht mehr alles bieten. Die Inhalte der Studienfächer werden genauso hinterfragt wie der Status der Professoren. In Polen ist das noch ganz anders. Die Textilkünstlerin Abakanovicz ist unnahbar, läßt keine Diskussionen zu. Und doch erhält sie von ihr entscheidende Impulse, die bis heute tragen: Sei frei, arbeite hart und analysiere dein Tun. Laß dich vom Material, das du auswählst, zu neuen Ideen und innovativem Denken führen. Verliere diese Punkte niemals aus dem Blick.
Bente Saetrang beschreibt ihre Arbeit als eine Kreuzung zwischen Intuition und Analyse, Planung und Zufall. Ab einem bestimmten Punkt bestimme das Werk die Weiterarbeit. Dann könne sie noch einige Entscheidungen treffen, aber im Grunde müsse sie dann dem Werk genau zuhören und die weitere Vorgehensweise darauf abstimmen. Sie gibt auch offen zu, das Zweifel ihre ständigen Begleiter sind, dies aber auch in Ordnung sei.
1981 geht es auf eine mehrmonatige Reise nach Afrika. Hier findet man einen weiteren entscheidenden Wendepunkt in ihrem Leben. Sie lernt eine völlig andere Kultur, andere Lebensweisen kennen. Am wichtigsten ist dabei die Indigofärberei von den Tuareg in der Sahara. Sie ist fasziniert von diesem Vorgang und dem Resultat und wird aus diesem Grund noch sehr häufig nach Afrika zurückkehren. Auch in Indien wird sie sich mit der Indigofärberei beschäftigen und die Möglichkeiten in ihre eigene Arbeit integrieren. Nach ihrer Dozententätigkeit, die sie nach sechs Jahren zugunsten ihrer künstlerischen Arbeit aufgibt, beginnt sie ihr eigenes Werk nach und nach zu vertiefen. Sie benützt alte Textilien wie Bettücher, Tischdecken und setzt sie zu großen Flächen zusammen um damit weiter zu arbeiten. Von 1993 bis 1999 entstehen große Arbeiten auf alten Planen, die sie säubert, wäscht, zerschneidet und neu wieder zusammensetzt. Auf ihnen malt sie in Tromp l´oeil – Manier Drappierungen von Stoffen. Die Planen selbst werden nicht auf einen Rahmen gespannt, sondern einfach an die Wand gehängt – sozusagen die Drapierung der Drapierung…

In memory of Brahim Bouarram, Killed by Le Pen Supporters in 1 May 1995 (detail), 1996, Bente Saetrang. photo: © Bente Saetrang.
Nach dieser Phase entstehen vom Jahr 2000 – 2013 monumentale abstrakte Farbstudien. Diese gefallen mir besonders gut. Ab 2013 bis heute liegt der Schwerpunkt dann auf dem Textildruck auf Damast und Baumwollstoffen.
Sind Sie nun gespannt, wie ihre Arbeiten aussehen? Dann gehen Sie doch einmal hier auf Entdeckungsreise und machen Sie sich selbst ein Bild. Sie können in dem Buch blättern und einen interessanten Kurzfilm über die Künstlerin anschauen.
Ich jedenfalls habe durch dieses Buch wieder einiges mehr über die Textilkunst in Europa erfahren, habe mich in einigen Punkten mit den Aussagen der Künstlerin verbinden können, haben mein Verständnis, was die Textilkunst betrifft, um einige Akzente erweitert. Es hat sich also gelohnt, dieses Buch.
Nina M. Schjonsby (ed)
Bente Saetrang
260 Seiten, 190 Bilder, 24,5 x 33,5 cm
Softcover, englisch/norwegisch
ISBN 987-3-89790-610-5
38,00€
arnoldsche art Publishers
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Ich habe auch noch die kleine wöchentliche Überraschung für Sie:
