Die Preisträgerinnen der 7. Europäischen Quilt-Triennale 2018 stellen sich vor

Ausstellungen

Lassen Sie es mich sofort zu Beginn sagen: Die Ausstellung der 7. Quilt-Triennale in Heidelberg ist sehr eindrucksvoll. Es war für mich als Jurymitglied schön zu sehen, daß wir gute Werke ausgewählt haben. Sie haben sowohl die Künstlerinnen als auch die Gäste überzeugt. Hier werfen Sie einen Blick in die Ausstellungsräume, fotografiert von Peter Spinnler.

Und das sind die Preisträgerinnen:
Sie sehen Malou Ceciller van Draanen Glismann bei der Preisübergabe durch den Bürgermeister der Stadt Heidelberg. Sie erhielt den Preis für Nachwuchsquilterinnen unter 40 Jahren für die Arbeit Albtraum. Sie sehen es oben links im Bild.

Den Preis für Innovation im großen Format erhielt zum zweiten Mal Urte Hanke mit einer großartigen Quiltarbeit hier im Bild mit dem Bürgermeister und der Kuratorin Dr. Kristine Scherer. Sie sehen die schwarz-rote Arbeit oben auf dem ersten Bild.

Diese beiden Preise werden von der Stadt Heidelberg gestiftet

Den Doris-Winter-Gedächtnispreis für Innovation im Bereich Material, Technik und Entwurf erhielt Judith Mundwiler aus der Schweiz für ihr Werk Netzwerk im Fluss der Zeit. Der Preis wurde einstimmig von den Jurorinnen vergeben.

Alle drei Preisträgerinnen möchte ich an dieser Stelle noch einmal herzlich zu ihren Preisen beglückwünschen.

Ich habe Judith Mundwiler, Urte Hanke und Malou Ceciller van Draanen Glismann gebeten, etwas über sich und ihre Arbeit zu berichten.

Den Anfang macht heute meine Freundin Judith.

Ihr Werk Netzwerk im Fluss der Zeit ist variabel präsentierbar. Es besteht aus drei Teilen, die entweder als Leporello stehend oder  an der Wand hängend installiert werden können.

Maße (Höhe x Breite in cm):
3 Teile: 49×196 / 49×221 / 49×74
Total an der Wand gehängt: 49×491
Als Installation variabel ca. 49x200x150

Materialien: Papier, alte Dokumente, Transparentpapier, Chiffon, geknautschtes Zeichungspapier, Seidenstickgarn, Goldfaden

Technik: geschichtet, handgestickt, maschinengenäht, Collagetechnik

Entstehungsjahr: 2017

Und hier ihre Ausführungen:

Die Notenblätter vom Schweizer volkstümlichen Liedgut aus früheren Zeiten bilden den Anfang der dreiteiligen Arbeit. Da ist meine Heimat verborgen, ich bin aufgewachsen mit diesen Liedern.
Zeitdokumente in Papierform, welche meine Familiengeschichte wiedergeben, werden im zweiten Teil hinter milchig transparentem Papier verborgen. Der Inhalt dieser Dokumente sind für den Betrachter nicht wichtig. Aber ab und zu lassen sich einzelne Geschichten herauslesen, sie spiegeln als Ganzes das Fundament meiner Existenz.
Die weissen leeren Seiten, die unbeschriebenen Blätter der Zukunft bilden den dritten Teil.
Die gequilteten Facetten spannen ein Netz über die Geschichte der Generationen und verbinden die Zeiten.

Zur Entstehungsgeschichte:

Im Jahr 2017 musste ich den Haushalt von meinen Eltern auflösen. Dabei kamen mir viele Dokumente, Fotos und andere Materialien in die Hände. Es war eine Reise in meine familiäre Vergangenheit – ein Thema, welches mich schon seit vielen Jahren immer wieder beschäftigt.
Die Fragen » Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und was bedeutet die Zeit dazwischen? Wie nutzen wir die Jahre, die uns geschenkt sind? Womit beschäftigen wir uns? Wem begegnen wir? Welchen Sinn hat unser Tun, unser Denken, unser Fühlen? Was bewirkt unser Verhalten? Wie können wir unsere Welt mitgestalten? « verarbeite ich seit vielen Jahren in meinem Werken, die immer den textilen Charakter inne haben. Textil – meine Leidenschaft! In früheren Zeiten habe ich nur mit Stoff gearbeitet, dann kamen alle möglichen Recyclingmaterialien dazu, Materialien aus dem Alltag, die oft achtlos weggeworfen werden, Naturmaterial, Fundstücke und im Moment ist mein Fokus immer mehr auf Papier gerichtet. So lagen also alle diese Zeitdokumente in Papierform vor, welche meine Heimat und meine Familiengeschichte wiedergeben, ein wunderbarer Fundus für eine neue Arbeit.

Ich habe das fertige Werk bei der 7. Quilttriennale in Heidelberg eingereicht, im Wissen darum, dass ich mich mit meinem Riesenleporello, welches hauptsächlich aus Papier und mit wenig Chiffon genäht und mit einem Seidenfaden überstickt (gequiltet) ist, mich sehr am Rand von der gängigen Norm eines „Quilts“ bewege.

Umso grösser war dann die Überraschung, als ich den Brief mit der Mitteilung über die Annahme meiner Arbeit bei der Ausstellung erhielt. Und die Freude war dann riesig, als ich beim näheren Lesen der Mitteilung sah, dass mich die Jury sogar für den „Doris-Winter-Gedächtnispreis“ für Innovation in Material,Technik und Entwurf auserkoren hat!

Ich möchte Ihnen hier einen kleinen Einblick geben über die Entstehung und Entwicklung der Idee zum Werk.
Zuerst stellte ich alle Materialien, die ich verwenden wollte, zusammen und machte erste Versuche mit Collagen.



Hier sind erste gekleisterte Collagen zu sehen. Als Untergurnd nahm ich die alten Handorgel-Musiknotenblätter.

Da die gefundenen Dokumente doch auch viel Privates beinhalten, habe ich sie unter Transparentpapier gelegt (welches ich zuerst mit einem pinkfarbenen Seidenfaden überstickt habe) damit nicht der ganze Inhalt auf Anhieb zu lesen ist. Einzelne Flächen blieben unbestickt. Da ist ein Einblick ins Private erlaubt.

Beim dritten Teil habe ich weisse, unbeschriebene Zeichenpapiere mit Seidenfäden bestickt.

Als Weiteres habe ich mit den Kreuzstich-Musterheften meiner Mutter experimentiert, diese geknautscht, übermalt mit weisser Farbe, wieder Kreuzsitche reingekratzt…

Nun ging es darum, die ganzen Einzelteile in eine Gesamtform zu bringen. Ich entschloss mich, die einzelnen Segmente zu Rechtecken oder Quadraten zusammenzufügen. Die Elemente mit den Kreuzstichen liess ich grösstenteils weg, oder sie kamen auch unter das Transparentpapier. Jedes zusammengefügte Einzelteil bekam nun einen Hintergrund in Form eines Zeichenpapiers und diese 2-3 Lagen wurden nun verbunden mit einem goldenen Faden, genäht mit der Maschine.

Auf dem Foto unten ganz rechts sehen Sie noch etwas ganz Besonderes: Ich hatte die Einzelteile auf dem Boden liegen, um das Arrangement zu machen. Da passierte meinem Mann ein Maleur: Er stolperte mit einer Tasse Kaffee in der Hand…..sehen Sie es??? Leider musste ich dieses Teil dann weglassen. Es wartet nun auf einen anderen Platz ….. auch der Alltag mit all seinen Tücken ist ein Teil meiner Familiengeschichte….

Diese Fotos habe ich im Gegenlicht gemacht, damit man die Rückseite mit den Musiknoten sehen kann. Diese sind leider im fertigen Werk verborgen…..aber ich weiss, dass sie trotzdem da sind……

Erstes Teil vom fertigen Werk

Zweiter Teil vom fertigen Werk

Drittes Teil vom fertigen Werk

Das fertige Werk

Liebe Judith, vielen Dank für diesen Einblick. Ich denke, er zeigt sehr gut, wie die Arbeit entstanden ist. Sicherlich werden wir auch in Zukunft weitere interessante Material- und Technikkombinationen, gepaart mit persönlichen Inhalten, von Dir zu sehen bekommen.

Mehr über Judith erfahren Sie auf ihrer Webseite.

Und dann sei noch auf den folgenden Workshop hingewiesen: