
Springerin
Immer wieder treffe ich bei meinen Recherchen und Erkundungen auf neue Veröffentlichungen oder wie in diesem Fall auf eine mir nicht bekannte Zeitschrift. Sie trĂ€gt den Namen: springerin. Dieser Name hat bei mir ein „Was ist das denn?“ hervorgerufen und das Wort hat mich neugierig gemacht.
Wie ich dann auf der Webseite erfahren habe, handelt es sich um ein Magazin, das viermal im Jahr auf Deutsch erscheint, aber international vertrieben wird. Es informiert ĂŒber aktuelle Ereignisse und Tendenzen im Kulturbetrieb und beschreibt deren Bedingungen und Bedeutungen. Ich sage immer, bei solchen Veröffentlichungen muss man sich schon gerade an den Tisch setzen, um wirklich zu verstehen um was es in den einzelnen Artikeln geht.
Die Vorschau auf das neue Heft beschreibt mit folgendem Text den Inhalt:
“ De-Growth“
„Wachstum und Wohlstand zĂ€hlen immer noch zu den ideologischen Grundkonstanten unseres vermeintlich postideologischen Zeitalters. Wachstum und Wohlstand sind es auch, die selbst in Umkehrbewegungen wie jenen in Richtung Klima-, Energie- und MobilitĂ€tswende eine nicht wegzudiskutierende Rolle spielen. Selten wird in diesem Zusammenhang ein Augenmerk auf Kunst und Kultur gelegt bzw. auf die Frage, in welchem VerhĂ€ltnis das kulturelle Feld zu diesen ideologischen Grundmustern steht. Seit jedoch im ökonomischen und gesellschaftspolitischen Feld von Wachstumsgrenzen die Rede ist â und dies reicht zumindest bis in die 1960er-Jahre zurĂŒck â, ist auch die Hinterfragung kulturindustrieller Agenden (und ihrer groĂflĂ€chigen Einbettung kĂŒnstlerischer Praxis) stĂ€rker in den Fokus gerĂŒckt.Zwar hatte diese Infragestellung, warum auch in kĂŒnstlerischer und kultureller Hinsicht alles stĂ€ndig noch gröĂer, umfassender und besser werden muss, lange Zeit eher nachrangige Bedeutung. Doch im Zuge der nun wieder Fahrt aufnehmenden Wachstumskritik beginnen auch Kunstinstitutionen und viele Praktiker*innen in diesem Bereich, das Mantra der permanenten Anreicherung und Mehrung in Zweifel zu ziehen. Dies betrifft vielerlei Aspekte, von der Frage der Ressourcenverschwendung und Nicht-Nachhaltigkeit des Kulturbetriebs ĂŒber die nach wie vor nicht zu bremsende Expansionsbewegung der Gegenwartskunst bis hin zur Problematik, wie einzelkĂŒnstlerisches Schaffen sich dem Wachstumsdogma widersetzen oder es auf sinnfĂ€llige Weise kritisieren kann.
Wohin steuert ein Betrieb, der sich den vielerorts geforderten Green Deal zwar auf die Fahnen heftet, in Wirklichkeit aber zur Aufrechterhaltung eines ganz und gar nicht âgrĂŒnenâ Status Quo beitrĂ€gt? Wie könnte das Ansinnen, nicht stĂ€ndig expandieren und wachsen zu mĂŒssen, effektiv umgesetzt werden? Fragen, denen sich die Ausgabe „De-Growth“ multiperspektivisch zu widmen versucht. “
(https://www.springerin.at/page/vorschau/) 24.8.2022
Es ist fĂŒr mich schon sehr lange klar, dass wir auch als KĂŒnstlerinnen nicht einfach immer so weitermachen
und auch noch erwarten können, dass unser Tun und Handeln, das ja erst einmal sehr individuell und privat stattfindet und nicht immer und ĂŒberall von Gesellschaftskritik durchzogen ist, von der Gesellschaft akzeptiert und honoriert wird, und zwar am besten so, dass wir auch noch davon leben können. Welche Kunst hat Relevanz? Wie sieht die Kunst und Kultur aus, die eine Gesellschaft braucht? Wenn Goethes Faust aus dem Lehrplan der Schulen gestrichen wird, ist das in unserer Zeit eine richtige Entscheidung oder geht dadurch auch Kultur verloren? Welche Relevanz haben solche kulturellen Werte? Wer legt fest, wie unsere kulturellen Werte auszusehen haben?
Warum nĂ€he oder sticke ich ein Werk nach dem anderen, erfĂŒllt von dem Wunsch, mich auf diese Art und Weise mit meinen Gedanken zur Zeit auseinanderzusetzen? Ich fĂŒhle mich nicht als Kunstproduzentin, wie KĂŒnstlerinnen ja mittlerweile auch oft beschrieben werden. Ich produziere keine Kunst im Sinne einer industriellen Produktion. Ich möchte Themen, Anliegen, Fragen der Zeit, meiner Zeit damit erfassen, in Verbindung setzen mit anderen KĂŒnstlergenerationen bis hin zu unseren UrsprĂŒngen.
Und es tut mir gut, jeden Tag immer wieder aufÂŽs neue mich diesen Fragestellungen zu widmen. In der langsamen Handarbeit flieĂen unendlich viele Gedanken in meine Arbeiten ein. Der ProzeĂ des Machens ist genauso wichtig, wie das Ergebnis. Ich gehe intuitiv vor, fange einfach an und rĂŒcke so StĂŒck fĂŒr StĂŒck vor, bis ich den mir genehmen Ausdruck erzielt habe. Ich stelle mir Fragen der Komposition, des Ausdrucks, der Ausgewogenheit, der Kontraste, der Inhalte. Ich setze einen FuĂ vor den nĂ€chsten, beobachte die Zwischenschritte, entscheide wie und wo ich weitergehe, experimentiere mit Material oder Techniken. So lerne ich, immer wieder neu zu entscheiden, gefasste Vorgehensweisen loszulassen und die Arbeiten immer wieder neu zu denken. Ein gutes Training fĂŒr das tĂ€gliche Leben. Aber das nur am Rande.
Slowstitch – Movement
Da sehe ich dann auch einen Unterschied zu der Slowstitch- Bewegung. Ich habe mich in den vergangenen Tagen ein wenig mit dieser Richtung im textilen Bereich auseinandergesetzt. Ich hatte die Vorstellung, hier erfÀhrt das langsame, eben das Handsticken eine neue Wertigkeit. Wenn ich es recht verstehe, geht es darum, einfach draufloszusticken, den Prozess des Stickens als den wichtigen Part anzusehen und das Ergebnis nicht so wichtig zu nehmen.
Ein Buch aus dem Jahr 2015 hat hier Akzente gesetzt:Â Â Â Slow Stitch von Claire Wellesley-Smith
Und diese Statements formuliert das slowstitch movement – ich habe versucht sie sinngemÀà zu ĂŒbersetzen:
– Gehen Sie Ihr kreatives Schaffen auf eine völlig neue Art an.
– Erwecken Sie Ihre Leidenschaft fĂŒr die Nadel-Faser-Kunst neu.
– Stellen Sie die Verbindung zwischen Ihrem Körper, Ihren Quilts und Ihrem Erbe her.
– Erweitern Sie Ihre KreativitĂ€t, Ihr SelbstwertgefĂŒhl und sogar Ihre spirituelle Reise.
– Nutzen Sie Ihre rechte GehirnhĂ€lfte, um Ihre Vorstellungskraft zu trainieren und zu entwickeln.
– Finden Sie das kreative Genie in Ihnen.
– Setzen Sie Ihr kreatives Denken in der heutigen, zu schnellen Welt um.
– Heilen Sie Ihr Leben, Ihre GefĂŒhle und stĂ€rken Sie Ihre körperliche Gesundheit.
– Schaffen Sie Gruppen und Gewohnheiten, die Ihre kreative Vision unterstĂŒtzen.
https://slowstitching.com/ 24.8.2022, 10.21h
Der einfache Vorstich , den ich ja auch immer wieder neu interpretiere und benutze, wird bei dieser Art der Arbeit eingesetzt. Man soll in einen Flow kommen, langsam werden. Sicherlich kann man dies zu einer anderen Art der Meditation erklĂ€ren. Das Ergebnis ist zweitrangig. Und damit habe ich dann meine Probleme. Man muss sich nicht den alten Handarbeitsregeln der absoluten Perfektion unterwerfen, die wir noch im Handarbeitsunterricht an der Schule gelernt und die vielen von uns diese Arbeit verleidet haben. Ich denke jedoch, dass jede Handarbeit, sei es nun in Textil, Holz, Glas u.a. auch immer dahin tendiert, dass man etwas Schönes herstellt. Ich denke, dass ist auch ein Aspekt jeder menschlichen Kultur und Kunst. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, sicherlich und doch bin ich mir sicher, dass es so etwas wie eine Sehnsucht nach Schönheit gibt, die sich nicht nach Moden richtet, die tiefer geht und sich auch nicht durch den Kunstmarkt vereinnahmen lĂ€Ăt. Damit wĂ€ren wir aber auch wieder beim Thema Kunst und Kultur…
Merken Sie etwas? In der vergangenen Woche habe ich durch GesprĂ€che und Artikel wieder vieles durchdacht, bin aber noch nicht zu einem SchluĂ gekommen, wie ich mit diesem Thema der Reduktion weiter umgehe. Im tĂ€glichen Leben ist mir die Reduktion seit 50 Jahren zur Gewohnheit geworden. Aber in meiner Kunst? Da werde ich doch heute wieder einmal einige Runden sticken und weiter darĂŒber nachdenken.
Links:
https://www.springerin.at/page/vorschau/
https://slowstitching.com/
Â